Schmutzgrube Internet

Das Internet verkommt. Überall Geschrei, Hass, Polemik, untergründiger Bodensatz. Es tummelt sich dort jeder Hans und Franz, der was sagen will oder denkt, sagen zu müssen. Unerträglich. Dem zu entgehen, ziehen sich viele in eigene Filterblasen zurück. Setzen entweder rosarote Brillen auf oder schießen aus der Deckung ihrer Blase…

Das Internet ein rechtsfreier Raum.

Deshalb wird es Zeit, das Facebook und Twitter mit gutem Beispiel vorangehen und gegen diesen Dreck vorgehen…

Ist es das? Ist es nicht eher so, dass die virtuelle Welt der Spiegel der realen Welt ist? Ein Vergrößerungsglas dessen, was da draußen im Leben passiert?

Das Internet war nie ein rechtsfreier Raum. Es wird nur so rechtsfrei sein, wie die Wirklichkeit rechtsfrei ist. Das Internet, es war – nennen wir es mal Paradies. Aber Entwicklung bedeutet auch immer Rauswurf aus dem Paradies.

Als ich Anfang der 90er in dieses „Paradies“ eintrat, gab es Regeln. Die waren nicht anders, als die Regeln des Zusammenlebens im wirklichen Leben. Warum auch, schließlich ist das Internet ein Teil des wirklichen Lebens. Nur damals hörte man, wenn dezent darauf hingewiesen wurde, dass grad etwas falsch läuft, etwa die Netiquette verletzt wird. Wer nicht hören wollte, durfte fühlen – wurde für eine kleine Zeit verbannt. Spätestens da begriff der Letzte, hier ist kein rechtsfreier Raum.

Mit der Kommerzialisierung kamen auch die Automaten, die das Internet mit Werbung, Müll und sonst noch Ungewolltem zuschütteten. Seitdem nennt man es „rechtsfrei“. Dabei hatte es doch nur den Zustand erreicht, der im täglichen Leben schon Gang und Gäbe war. Nun wollte auch jeder rein, wollte dabei sein oder wurde rein gezogen, um ihm sein Geld aus der Tasche zu ziehen.

Dummer Weise war das „alte“ Internet nicht kommerziell. Es gab Vieles frei. Eine Verteilkultur hatte sich ausgebreitet, Tauschhandel sozusagen. Und das gefiel Politik und Wirtschaft nicht. Sie erfanden das „Neuland“. Neuland muss urbar gemacht werden. Und Neuland gehört dann denen, die es urbar machen. So war/ist es bei der Eroberung der Welt, der Entdeckung Amerikas, dem Export unserer westlichen Lebensweise schon immer gewesen. Überall wo wir hinkommen, wird das zum Neuland erklärt, was bereits von anderen bewohnt wurde. Andere Kultur? Egal! Weg damit, ist Neuland, wir haben es erobert, uns gehört es. Und wenn doch mal nicht zu übersehen war, dass dort schon was ist, dann wird es eben als „rechtsfrei“ deklariert.

Und nun werden auch noch aktionistisch neue Regeln für ’s Netz erfunden. Im Namen des Kampfes gegen den Schund, wird eine Maulkorbpolitik etabliert, werden Menschen- und Bürgerrechte, die man nur schwer in der wirklichen Welt beseitigen kann, mit einem Wisch beseitigt. Aber wenn sie in einem Teil der Welt verschwinden, verschwinden sie auch über kurz oder lang im anderen Teil.

Das geht schief, es muss schief gehen. Nicht das Internet hat Schuld. Es ist nur ein Teil unseres Lebens. Wenn mich einer im Internet anpöbelt, ist er mir genauso bekannt wie, wenn er mich auf dem Bürgersteig anpöbelt. Ich kann ihn hier wie dort anzeigen und hier und dort werden die Ermittlungsbehörden ihn finden oder nicht (wobei ich die Wahrscheinlichkeit, ihn im Internet zu identifizieren als höher einschätze)…

Wir sollten schauen, was da schief läuft in unserer Gesellschaft. Das Internet führt sie uns nur drastisch vor Augen.

Ändern können wir das nur im wirklichen Leben, indem wir diese neoliberale Gesellschaft ändern. Und das nicht mit Filterblasen – die man übrigens im wirklichen Leben Sekten nennt – oder Verboten, nicht gegen Menschen sondern mit Menschen.

Machen wir diese Gesellschaft, die eher eine „Einzelschaft“ ist, wieder zu einer Gesellschaft, einem Miteinander. Verteidigen wir unsere Rechte – Bürgerrechte und Menschenrechte. Es sind unsere Rechte, nicht die eines Präsidenten, eines Landes, Kontinents, der UNO, nein, es sind UNSERE!

Steffen
-sk-